Wenn der Frontscheinwerfer anfängt zu denken

Das Nitride Technology Center (NTC) stellt sich vor: Bei seinem Besuch an TU Braunschweig tauchte Ministerpräsident Weil am 23. Oktober 2023 in die Welt der Mikroelektronik ein. Nitrid-Halbleiter sind, neben der Silizium-Technologie, mittlerweile die zweite innovative Säule der Mikroelektronik. Sie gehört zu den systemkritischen Kompetenzen einer modernen Gesellschaft mit erheblichem Wertschöpfungspotential. Entsprechend fördert die Europäischen Kommission Nitrid-Technologien mit IPCEI (Important Projects of Common European Interest) und die Europäische Union nahm sie in den sogenannten Chip Acts auf, der die digitale Zukunft Europas gestalten soll.

Das Nitride Technology Center (NTC) bündelt die Stärken Niedersachsens in der Nitrid-Technologie. Mit dem NTC soll Niedersachsen die Chancen der Nitrid-Technologie nutzen, aber auch die Herausforderungen des Fachkräfte-Bedarfs in der Mikroelektronik aufgreifen. Deutschland und Europa sind mit global führenden Unternehmen wie ams OSRAM oder Infineon in der Nitrid-Technologie stark aufgestellt. Doch die Bündelung der niedersächsischen Aktivitäten in der Halbleitertechnologie ist auch mit Blick auf die Intel-Ansiedlung 80 km östlich von Braunschweig, mit über 30 Milliarden Investitionen und einem Personalbedarf von 3.000 MitarbeiterInnen in 2027 wichtig. Darüber hinaus ist die Nitrid-Technologie eine innovative Quelle für Startups.

Den Kern des NTC bildet das Forschungszentrum LENA der TU Braunschweig und dessen Institut für Halbleitertechnik. Braunschweigs Halbleitertechnik hat langjährige Expertise in der Nitrid-Technologie und bearbeitet als eines der wenigen universitären Institute weltweit die gesamte Forschungskette von der Materialherstellung über die Chip Prozessierung und hybride Integration bis zur Systemintegration. Das Institut ist in einer langjährigen strategischen Kooperation, dem Epitaxy Competence Center (ec²), mit ams OSRAM, einem der Marktführer in der Nitrid-basierten Photonik verbunden.

Das NTC integriert zukünftig auch Gruppen, die sich mit CMOS-Design und der Leistungs- und Hochfrequenzelektronik beschäftigen. Weitere Beiträge liefern Partner der Leibniz Universität Hannover, Georg-August-Universität Göttingen und der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften. Die Laser und optischen Systeme aus dem NTC, werden auch für die Ansteuerung, Miniaturisierung und Skalierung von Quantenprozessoren benötigt. Das NTC ist deshalb auch ein wichtiger Baustein im Quantum Valley Lower Saxony (QVLS) und für das Exzellenzcluster QuantumFrontiers, das gemeinsam von TU Braunschweig, Leibniz Universität Hannover und Physikalisch-Technischer Bundesanstalt sowie weiteren Partnern getragen wird.

 

Ein optisches Gehirn

Herr Weil kann bei seinem Besuch am NTC einen besonderen Demonstrator besichtigen und dabei quasi einem optischen Gehirn – beziehungsweise einem optischen neuromorphen Netzwerk – beim Denken zusehen.

Eine mikroLED-Matrix EVIYOS, die von Partner ams OSRAM zur Verfügung gestellt wurde, dient in Kombination mit einem programmierbaren optischen Filter als Basis für ein optisches neuronales Netzwerk. Das Netzwerk ist so angelernt, dass es handschriftliche Ziffern von 0 bis 9 erkennen kann, und das ganz ohne konventionellen Mikroprozessor. Jeder Pixel des EVIYOS entspricht einem Neuron. Die Eingangsmatrix des Bildes wird mit der Gewichtungsmatrix des Filters multipliziert – und zwar rein optisch, ohne jegliche digitale Prozessoren. Das Ergebnis ist eine Kategorisierung des Eingangsmusters in 10 Kategorien – in diesem Fall die 10 Ziffern von 0 bis 9.

Warum ist Mustererkennung eine so komplexe Aufgabe, zumindest für konventionelle Mikroprozessoren? Ein Muster kann nur dann identifiziert werden, wenn man das ganze Muster – zum Beispiel das Bild einer Ziffer – gleichzeitig sieht. Ein konventioneller Mikroprozessor hat die Information vereinzelt und digitalisiert in seinem Speicher, und holt das Muster Bit für Bit in das Rechenregister. Diese ineffiziente Herangehensweise führt zu vergleichsweise enormem Stromverbrauch. Unser Gehirn ist als faszinierende neuronales Netzwerk wesentlich effizienter. Das Gehirn taktet mit nur 10 Hertz statt den Milliarden Hertz eines Computers und erkennt trotzdem beinahe mühelos komplexe Muster.

Der Grund: Unser Gehirn arbeitet völlig anders. Es ist parallel vernetzt, nimmt ein Muster ganzheitlich wahr und verarbeitet es dann auch ganzheitlich. Bei diesem „In Memory Computing“ liegen alle Informationen gleichzeitig und nebeneinander vor. Genau das passiert auch im gezeigten Demonstrator auf LED-Basis, programmiert als optisches neuromorphes Netzwerk. Die EVIYOS Module, die eigentlich Basismodule für Matrix-Frontscheinwerfer sind, fangen also an zu denken.